Modul 18 |
Empowerment-Strategien
Empowerment-Strategien für Lehrkräfte und SuS
#Machtkritik #Selbstermächtigung #GefahrDerEntpolitisierung #SafeSpaces #kritischesWeißsein
In dieser Lerneinheit wird über ein Fallbeispiel (Interviewauszug) in das Thema „Empowerment-Strategien für Lehrkräfte und SuS“ eingeführt. Im Anschluss daran wird der Begriff Empowerment in seiner Bedeutungsvielfalt vorgestellt und in das Problem einer neoliberalen Aneignung von Empowerment eingeführt. Anschließend wird über Möglichkeiten eines empowerment-orientierten professionellen Handelns im Berufsschulalltag nachgedacht und die Notwendigkeit sogenannter „Safe Spaces“ (Schutzräume) erörtert. Zudem werden Einblicke in die kritische Weißseinsforschung gegeben, die für weiß positionierte Lehrkräfte interessante Möglichkeiten anbietet, ein empowerment-orientiertes Handeln zu gestalten. Zum Ende der Einheit findet sich zur Vertiefung eine Aufgabe und Links zu Selbst-Organisationen und Anlauf- und Beratungsstellen.
- Fallbeispiel
- Theorie
- Praxis
- Aufgabe & Reflexion
- Literatur
Der folgende Interviewauszug bietet einen Einstieg in das Thema Empowerment. Der Auszug stammt aus einem Gespräch mit den Schüler*innen Betül und Phoenix, welche Mitbegründer*innen des „Your Local Empowerment Club” (YLEC) am dem Lessing Gymnasium in Berlin sind. Der Club veranstaltet regelmäßig antirassistische Empowerment-Formate für Schüler*innen.
„Betül und Phoenix, warum brauchen wir Empowerment an Schulen?
Rassismuserfahrungen im jungen Alter entstehen leider viel zu oft im Raum Schule. Hier fehlt es noch an Repräsentation und Safer Spaces. Marginalisierte Gruppen werden durch Lehrkräfte sowie Lehrinhalte selten und noch seltener gut repräsentiert. Auch gibt es zu wenige Räume für den Austausch von Schüler*innen mit Rassismus- und anderen Diskriminierungserfahrungen. Es braucht solche Räume, die die Selbstermächtigung und Entwicklung von BIPoC Schüler*innen ermöglichen und fördern.
Was erwartet die Workshopbesucher?
Angelehnt an das Format des YLEC wird anfänglich Input in Form eines Interviews bzw. Dialogs zu Themen im Bereich Empowerment und Antirassismus mit einem Gast stattfinden. Wir möchten Impulse für mögliche empowernde Projektideen mitgeben und innerhalb des Workshops welche entwickeln.
Wie würdet ihr gerne die Schule gestalten, damit sich alle wohlfühlen?
Wir haben nicht den Anspruch, die Schule so zu gestalten, dass sich alle wohlfühlen. Unser Ziel ist es, Schule zu einem diskriminierungskritischen Ort zu machen. Einem Ort, an dem reflektiert über Identitäten gedacht und aktiv gegen Diskriminierungen jeder Form gehandelt wird. Teilweise kann das auch beinhalten, dass einige sich nicht wohlfühlen. Doch langfristig hat das zum Effekt, dass alle, insbesondere von Diskriminierung Betroffene, sich wohler fühlen.“ (Behradi & Niloufar 2021)
In diesem kurzen Auszug ist sichtbar geworden, wie wichtig Empowerment-Angebote für Schüler*innen sind. Es wird darauf hingewiesen, dass solche Erfahrungen bereits im jungen Alter in Schulen auftreten und dass es an Repräsentation sowie sicheren Räumen mangelt. Empowerment wird von den Interviewten als Schlüssel betrachtet, um marginalisierten Gruppen, insbesondere BIPoC Schüler*innen, die Möglichkeit zur Selbstermächtigung und persönlichen Entwicklung zu bieten und Diskriminierung langfristig entgegenwirkt. Empowerment wird somit als grundlegende Strategie betrachtet, um einen inklusiven und unterstützenden schulischen Raum zu schaffen.
Der Bedarf an Empowerment-Angeboten deckt sich kaum mit der Situation an den (Berufs)Schulen. Es gibt noch viel zu tun.
Empowerment-Angebote sollten sich natürlich ebenso wie an Schüler*innen auch an Lehrpersonen richten, die von diesen Ungleichheitssystemen betroffen sind. Empowermenträume für Lehrkräfte wichtig, da sie einen geschützten Raum bieten, in dem sie sich selbst reflektieren, professionell wachsen und Herausforderungen bewältigen können. Diese Räume fördern den Austausch von Erfahrungen, unterstützen bei der Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen im Lehrer*innenberuf und ermöglichen die Entwicklung von Strategien zur inklusiven Gestaltung des Unterrichts. Darüber hinaus dienen sie als Plattform zur Stärkung der Lehrkräftegemeinschaft, fördern aktives Engagement gegen Ungleichheiten und tragen dazu bei, eine unterstützende Umgebung für Lehrkräfte zu schaffen.
Es zeigt sich, dass ein Nachdenken über die Herausbildung von Empowermenträumen sowohl für Schüler*innen, als auch für Lehrkräfte lohnenswert ist. Die folgende Lerneinheit möchte in das hierzu einführen und Anregungen geben.
Menschen unterschiedlicher sozialer Status, Herkünfte, Behinderungen oder Geschlechtsidentitäten sind in Deutschland individuell und strukturell von Diskriminierung, Unterdrückung, Ausschluss und Gewalt betroffen. Inwiefern können Empowermentansätze von Diskriminierung betroffenen Menschen in ihren Kämpfen um Teilhabe, Mitbestimmung, Autonomie und Handlungsfähigkeit behilflich sein? Worin liegen Fallstricke von Empowermentansätzen? Und welche Aufgabe haben von Diskriminierung nicht negativ betroffene Menschen, wenn davon ausgegangen wird, dass alle Menschen gesellschaftlich in Diskriminierungs- und Herrschaftszusammenhänge verwoben sind und keine Person außerhalb dieses Gefüges steht? Und was bedeuten diese Fragen für Lehrpersonen im Berufsschulalltag? Diesen Fragen möchte sich die Lerneinheit annähern und zur Reflexion darüber einladen.
Der Begriff Empowerment kommt aus dem angloamerikanischen Raum. Das darin enthaltene Wort „Power“ bedeutet Macht, Kraft und Fähigkeit. Frei übersetzt bedeutet Empowerment Selbstermächtigung oder Selbstbefähigung (vgl. Farrokhzad 2019, S. 14).
Entstanden ist der Begriff in den nordamerikanischen Bürgerrechts- und südamerikanischen Befreiungsbewegungen kolonialisierter Länder (auf den Kontinenten Asien, Afrika und Lateinamerika) und den Frauen*bewegungen der siebziger und achtziger Jahre. In den Achtzigern fand Empowerment durch Schwarze Frauen*- und Selbstorganisationen und Behindertenbewegungen auch in Deutschland Einzug (vgl. ebd. S. 14). Mit dieser Entstehungsgeschichte wird deutlich, dass der Begriff Empowerment im Ursprung politisch und emanzipatorisch angelegt ist, indem bestehende rassistische, klassistische, sexistische oder heteronormative Herrschaftsverhältnisse infrage gestellt werden (vgl. Madubuko 2021, S. 14).
Empowerment hat sich inzwischen zu einem vielfach ausgelegten und vielerorts genutzten Schlüsselbegriff entwickelt: Die Sozialwissenschaftlerin Schahrzad Farrokhzad (2019, S. 3) betont; „dass es eines längerfristigen Forschungsprojektes bedarf, um die aktuellen Entwicklungen der Debatten, Definitionen, Konzeptualisierungen und Aktivitäten im Kontext von Empowerment“ zu erfassen und zu systematisieren.
„Empowerment bedeutet die Freiheit als Selbst existieren zu können, ohne sich Handlungszwängen zu beugen, die von außen aufgrund sozialer Kategorien (wie »Rasse«, Klasse, Gender, Disability u.a.) an uns herangetragen werden und die uns in unserer Sozialisation prägen. Daher richtet sich Empowerment an Menschen, die durch diese Herrschaftsverhältnisse (Rassismus, Klassismus, Sexismus, Heteronormativität u.a.) unterdrückt werden.“ (Nassir-Shahnian, 2013, S. 16)
Farrokhzad identifiziert, angelehnt an Norbert Herringer (2014), zwei Lesarten von Empowerment: a) „Empowerment als kollektiver Prozeß der Selbst-Aneignung von politischer Macht“ und b) „Empowerment als professionelles Konzept der Unterstützung von Selbstbestimmung“ (Herringer S. 18, zitiert nach ebd. S. 16).
Mit der Definition unter a) kann Empowerment ein Instrument verstanden werden, um gegen bestimmte Macht- und Herrschaftsverhältnisse anzugehen und den unterdrückerischen Strukturen entgegenzutreten. Mit diesem Anspruch hat Empowerment immer ein politisches Anliegen und findet sich in politisch-kollektiven Graswurzelbewegungen und Initiativen wieder. Unter b) werden eher Vorhaben zusammengefasst, die „Prozesse der Selbstbemächtigung initiieren, unterstützen und begleiten“ (ebd.). Für den Lernraum (Berufs)Schule können beide Ebenen bedient werden. Etwa durch die Ermöglichung kollektiver Selbstorganisation von Schüler*innen (bestenfalls durch eine Lehrperson, die ebenfalls von dieser Diskriminierung betroffen ist). Madubuko (2021) kritisiert an Herringers Ansatz (2014), dass dieser zu wenig auf die Eigenpositionierung der pädagogisch verantwortlichen Person schaut und dadurch das eigentliche aktivistische selbstorganisierte Anliegen von Empowerment verloren geht. Denn es kann niemals ein Mensch einen anderen Menschen empowern. Betroffene können sich nur selbst empowern, brauchen dazu jedoch Ermöglichungsräume:
„Empowerment ist kein hieratischer, paternalistischer Ansatz, in dem Menschen von außen „empowert“ werden, sondern ein selbstbestimmter eigenmächtiger Prozess.“ (Arbeitsdefinition, AG Empowerment, Bundesprogramm Demokratie leben!).
Es kann also im Sinne von Empowerment nicht darum gehen, einen Plan für eine betroffene Person zu erstellen. Was nicht oder weniger von Diskriminierung betroffene Berufsschullehrende tun können, wird im folgenden Kapitel 3 „Empowerment-orientiertes professionelles Handeln im Berufsschulalltag“ genauer ausgeführt.
Empowerment umschreibt also Prozesse, in denen sich von Diskriminierung betroffene Menschen, den bestehenden Machtverhältnissen und ihren darin zugeschriebenen Positionen widersetzen und für eine Umverteilung von Macht kämpfen. Dazu ist es zunächst grundlegend zu verstehen, dass etwa Rassismus, Klassismus, Sexismus und Ableismus keine individuellen, sondern gesellschaftliche soziale Phänomene sind, in welche alle Menschen verwoben sind (vgl. Madubuko 2021, S. 15). Diese gewaltvollen Phänomene zu verändern, funktioniert nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf Ebenen von Strukturen, von Denken, von Verhalten sowie auf der Ebene der Wertschätzung von Diversität. Auf der individuellen Ebene ist es zudem wichtig, gegen eine Verinnerlichung dieser Gewaltsysteme aktiv anzugehen (vgl. ebd.).
Insbesondere in Bezug auf direkt von Diskriminierung Betroffene hebt Nassir-Shahnian (2013, S. 21), in Referenz auf wichtige Schwarze feministische Kämpfer*innen, wie bell hooks (1994), Hill Collins (1999) und Audre Lorde (1984/2007) hervor:
„Je schmerzhafter die Themen sind, um die es geht, desto größer ist unsere Sprachlosigkeit« (hooks 1994a: 10). Da unsere Lebenserfahrungen in dominanten Diskursen häufig nicht anerkannt und benannt werden, sondern im Gegensatz abgewehrt und verneint (»Jetzt stell dich mal nicht so an« oder »Übertreib mal nicht«), ist das Ausdrücken und Teilen von Diskriminierungserfahrungen eine wichtige Strategie für den Empowerment-Prozess. Wenn die Sprachlosigkeit überwunden ist, können weitere Handlungen zur Befreiung folgen. Patricia Hill Collins beschreibt diesen Prozess als Weg von der Stille zur Sprache zur Handlung: »[…] from silence to language to action« (Hill Collins 1991, S. 112)“ (ebd. 2013, S. 21).
Durch die Aufnahme des Begriffs durch Unternehmen und durch verwaltungspolitische Einrichtungen wurde Empowerment zunehmend zu einer Floskel für neoliberale Ideen wie Optimierung, Individualisierung und Leistungssteigerung. Gerade Empowerment-Strategien, die sich im Bereich Personalmanagement wiederfinden, weisen oft in diese Richtung und weichen dabei von seiner eigentlichen Bedeutung immer mehr ab – ja kehren diese in Teilen sogar um (vgl. Farrokzhad 2019, S. 19, 55). Die Betroffenen mit ihren Erfahrungen und Bedürfnissen sind in diesen Ansätzen nicht mehr Eigeninitiator*innen, sondern sprachlos gemachte Zielgruppen, denen von außen „zu ihrem Besten“ Maßnahmen aufgezwungen werden.
Auch durch die Übernahme des Empowerment-Konzepts in Universitäten, Schulen und weiteren staatlichen Institutionen findet eine Entpolitisierung des Begriffs statt: Denn diese Räume sind genau wie alle anderen Räume der Gesellschaft von Macht und Hierarchie strukturiert. Die Zahl der Lehrpersonen und Führungsverantwortlichen mit Rassismuserfahrungen, mit einer Behinderung, aus einer Arbeiter*innenfamilie kommend oder die queer oder homosexuell sind, ist noch immer gering. Hier wird die Vielfalt der Gesellschaft nicht widergespiegelt (vgl. Farrokzhad 2019, S. 55). Auch wenn in Unterrichtstunden und Seminaren Themen wie Rassismus und Diskriminierung teils mehr Raum bekommen, gibt es kaum Räume für die Aufklärung von gewaltvollen Diskriminierungserfahrungen, welche Schüler*innen und Student*innen an staatlichen Institutionen selber machen (ebd.).
Für einen empowerment-orientierten Umgang im Klassenzimmer, so betont Madubuko (2021) müssen Lehrpersonen daher Machunterschiede zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen in Bezug auf Wissen, Sanktionsmacht, Definitionsmacht und eigener gesellschaftliche Position (oft weiße christliche Mehrheitsangehörige) verstehen und reflektieren. Dieser Schritt ist notwendig, um Diskriminierungen als solche überhaupt erkennen zu können und sensibler im Umgang mit Schüler*innen zu werden (vgl. ebd. S. 27-30).
Damit Schüler*innen sich von Diskriminierungserfahrungen in Form von Abwertung, Mikroaggression oder Othering befreien können, braucht es Räume des Empowerments und des sich Verstanden-Fühlens. Diese Voraussetzungen bieten geschützte Räume, in denen die Betroffenen untereinander in den Austausch kommen können, ihre Erfahrungen miteinander teilen, sich vernetzen und verstanden fühlen. Aus diesen Strukturen erwachsen Ermächtigungsprozesse. Den Begriff der empowerment-orientierten Haltung schlägt Madubuko (2021) für (Lehr)Personen vor, die nicht oder wenig von Diskriminierung betroffen sind. Folgende Anregungen von ihr werden an dieser Stelle zusammengefasst und können in das Unterrichten implementiert werden[1]:
- Durch diskriminierungssensible Unterrichtsgestaltung die Sichtbarkeit von marginalisierten Perspektiven herstellen.
- Das Hinterfragen von diskriminierenden, rassistischen Zuschreibungen.
- Selbstbezeichnungen von Betroffenen ernst nehmen, in den eigenen Sprachgebrauch zu übernehmen und diskriminierende Verallgemeinerungen wie „die Araber“ oder „die Schwulen“ vermeiden. Hierbei ist zu beachten, dass es ein sensibles Thema bleibt und als nicht Betroffene Person nicht einfach alle Begriffe von marginalisierten Communitys übernommen werden können. Wiederangeeignete Selbstbezeichnungen wie beispielsweise „Kanake“ sollten weiß positionierte Menschen vermeiden.
- Auch stereotype, homogenisierende Darstellungen von bestimmten Gruppen (alle Türken, alle Homosexuellen…) und die Herabsetzung und Verallgemeinerung anderer Kulturen oder Religionen sollte im Sinne einer empowerment-orientierten Haltung nicht reproduziert werden. (vgl. Madubuko 2021, S. 135-143).
Das „Empowerment-Haus Konzept“ von Madubuko (2021) kann außerdem Lehrpersonen dabei unterstützen, eine Rolle im Empowerment-Prozess der Schüler*innen zu finden. Ausschlaggebend für die Rolle in diesem Prozess ist die eigene Positionierung innerhalb bestimmter Diskriminierungslinien.
Empowerment-Haus nach Madubuko:
Angebot eines Safer Space
- Von und für Betroffene
Diskriminierungsschutz
- Ernstnehmen von Erfahrungen, aktives Eingreifen bei Diskriminierung, Rassismus
- Gespräche führen und Vorurteile korrigieren
Sichtbarkeit verschiedener Lebenswelten
- Diverse Lernumgebung und Wertschätzung
- Offenheit für Differenzlinien, Herkünfte, Sprachen, Religion
Diskriminierungskritisches Fachpersonal
- Diskriminierungsbewusst und divers
- Sprachsensibel, Vermeidung von homogener Normalität
Das Empowerment-Haus von Madubuko (2021, S. 151). Ergänzt um allgemeine Differenzsensibilität (vormals „nur“ Rassismus).
Hier unterscheidet Madubuko (2021) klar zwischen pädagogisch verantwortlichen Personen, die keine, kaum oder viele biografische Bezüge zu den Diskriminierungslinien haben. Personen mit keinen oder wenigen Bezügen leisten Empowerment-Orientierung vornehmlich auf den Ebenen von kritischer Wissensvermittlung, Haltungs- und Verhaltenskompetenz.
Safe Spaces (geschützte Räume) hingegen sollten bestenfalls nur von Betroffenen für Betroffene eingerichtet werden. Es ist sinnvoll darüber nachzudenken, ob diese Räume außerhalb der (Berufs)Schule eingerichtet werden können, da (Berufs)Schulen in bestehende Machtstrukturen eingebunden sind und vielleicht nicht die benötigten Freiräume für einen sicheren und offenen Austausch bieten.
[1] Ausführliche Informationen hierzu siehe Madubuko (2021, S. 133.).
Werden bestimmte Themen wie Rassismus, Sexismus, Ableismus oder Klassismus thematisiert, kann es sehr sinnvoll sein, dies allein in geschützten Räumen für die Betroffenen zu thematisieren. Schüler*innen, die beispielsweise Erfahrung mit Sexismus oder sexualisierter Gewalt gemacht haben, sollten ihre Erfahrungen in einem geschützten Raum teilen können, der für heterosexuelle cis-männliche Personen nicht zugänglich ist. Diese Räume für unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen sollten auch von einer Person geleitet werden, die selbst von dieser Diskriminierung betroffenen ist und Erfahrungswissen mitbringt. An dieser Stelle ist es Aufgabe der Lehrperson durch Netzwerkarbeit an geeignete, gute Personen zu gelangen und diese einzuladen oder Schüler*innen in externen Angeboten Zugang zu verschaffen. Dies können von Fall zu Fall sowohl Einzel- als auch Gruppenangebote umfassen.
Die Bloggerin Awista Gardi (2021, online) schreibt über ihre Erfahrungen in geschützten Empowerment-Räumen:
„Beim gemeinsamen Austausch und Lernen in Empowermenträumen wurde es mir ermöglicht eigene Diskriminierungserfahrungen mit breiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen zu verknüpfen und strukturelle Perspektiven auf Rassismus und Antisemitismus zu entwerfen. Diese strukturellen Perspektiven halfen mir dabei, die oben angesprochene Verinnerlichung von Diskriminierung und die erlernten Ohnmachtsgefühle mit der Zeit zumindest in Teilen zu überwinden und mich handlungsfähiger zu fühlen.“ (Ebd.)
In geschützten Räumen ist es nicht nötig, sich und seine Erfahrungen erklären oder sich rechtfertigen zu müssen. Nichtbetroffene (Lehrpersonen) neigen dazu, Diskriminierung nicht zu sehen, herunterzuspielen oder durch Relativierung zu bagatellisieren. Dies kann auch unbewusst und unwissentlich passieren. Es geht also in Safer Spaces nicht um Formen der Geheimhaltung oder Ausgrenzung, sondern um den Schutz der Betroffenen vor erneuter Verletzung durch Nichtbetroffene (vgl. Madubuko 2021, S. 154).
In jedem Bundesland gibt es viele Fachstellen und Beratungsangebote. Hier macht es Sinn, sich als (angehende) Berufsschullehrkraft einen Überblick zu verschaffen, Kontakte herzustellen, um schnell gutes Personal bekommen zu können.
Denkbar ist eine Eröffnung eines Empowerment-Raums von einer Lehrperson, die ebenfalls von der Diskriminierung betroffen ist, um die es in dem Empowermentraum geht. Allerdings ist Betroffenheit allein kein ausreichendes Kriterium dafür, dass jemand in der Lage ist, einen Empowermentraum vertrauensvoll und sicher zu leiten. Nicht jede Betroffene ist gleichzeitig Expert*in und verfügt über Wissen und Methoden für eine solche Begleitung. Inhaltlich sollten die Betroffenen stets selbst diejenigen sein, die bestimmen was, wie, in welcher Weise Gehör findet und thematisiert wird – nur so können Prozesse der Selbstbestimmung entstehen (vgl. ebd.).
Ähnlich wie Empowerment für von Diskriminierung betroffene Schüler*innen sinnvoll ist, ist es genauso auch für von Diskriminierung betroffene Lehrpersonen wichtig (vgl. z.B. Doğmuş 2017, Fereidooni 2015). Für sie braucht es ebenso Safe Spaces, etwa indem sie sich mit anderen Betroffenen zusammentun, austauschen und durchatmen können. Grundlegend hierfür ist eine gute Vernetzung auch mit Netzwerken, Beratungs- und Meldestellen. So können diskriminierende Strukturen an der Berufsschule sichtbar und Veränderungsprozesse angestoßen werden. Hierbei können Nichtbetroffene die Rolle von Unterstützer*innen übernehmen und beispielsweise Druck auf die Institution ausüben in Bezug auf Einstellungen, Handlungsweisen, Lehrinhalte und Abläufe. Generell ist es hilfreich als Kollegium an einer guten Teamstruktur zu arbeiten, da dadurch Entlastungen und thematische Zusammenarbeiten möglich werden und Vertrauen aufgebaut werden kann (vgl. Dietscher, Dür & Stidl 2004, S. 10-13).
Darüber hinaus ist es sinnvoll, über die eigene Positionierung als nicht von Rassismus, Klassismus oder Sexismus und weiteren Ungleichwertigkeitsideologien betroffene Lehrperson und den damit zusammenhängenden Privilegien zu reflektieren. Besonders im Zusammenhang mit Rassismus gibt es viele Möglichkeiten der kritischen Auseinandersetzung mit weiß-Sein und Privilegien (vgl. Diangelo 2021, Hill Collins 2022, McIntosh o.J., Ogette 2020, Sow 2018). Hierbei geht es um die Frage, wie sich aus der „weißen“ Perspektive an Empowerment-Prozessen beteiligt werden kann. In der dazugehörigen Forschung „kritisches Weißsein“ geht es darum, dass eigene weiße Positionen und Privilegien kritisch reflektiert werden und die eigene Verwobenheit in rassistische Diskurse und Machtsysteme bewusst gemacht werden. Anschließend können im Sinne eines Powersharings[1] Machträume an marginalisierte Personen abgeben werden (näheres dazu z.B. Farrokhzad 2019, s. 23- 26). In der kritischen Weißseinsarbeit sollte es nicht darum gehen, beispielsweise weiße Positionen als lediglich schuldig für die rassistische Geschichte und Gegenwart zu konstruieren. Dies würde dem vorhandenen Engagement und der Reflexion vieler weißer Menschen nicht gerecht werden und letztlich dem Empowermentgedanken entgegenlaufen. Stattdessen sollte es mehr darum gehen, welche Verantwortung weiße privilegierte Personen haben, sich aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung einzusetzen. Die Spaltung zwischen Schwarzen und weißen Positionen kann nicht Ziel einer solidarischen Empowerment-Arbeit sein (mehr dazu vgl. ebd. S. 60-61).
„Daher sind m. E. ganzheitliche Konzepte gefragt, die solche nicht intendierten Nebenwirkungen mitreflektieren und Angebotssettings parallel und/oder aufeinander aufbauend konzipieren, die z. B. sowohl geschützte Räume ermöglichen, als auch kritische Reflexionen über „Whiteness“ und Räume der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen miteinander solidarischen sozialen Gruppen – und systematisch strukturelles Empowerment in Form von Powersharing integrieren.“ (Ebd. S. 61)
[1] „Powersharing bedeutet nicht, sich selbst zu beauftragen, für andere ‚mitzusprechen‘. Es geht weder um Vertretung noch um Toleranz, sondern um Machtzugang. Darüber hinaus stellt die Bewusstmachung der eigenen Privilegien und Ressourcen eine weitere Voraussetzung dar, da diese nur so gezielt eingesetzt und geteilt werden können. Wesentlich dabei ist die Frage danach, wer letzten Endes die Kontrolle über Ressourcen und die Entscheidungsmacht über deren Einsatz hat. Eine Herausforderung von Powersharing besteht darin, zu respektieren, dass minorisierte Menschen andere Interessen haben können, zu anderen Entscheidungen kommen können, bestimmte Dinge möglicherweise anders definieren und deuten etc., als es aus einer privilegierten Perspektive als ‚richtig‘ erscheint“. (Farrokhzad 2019, S. 25)
Hören Sie sich bitte folgenden RISE-Podcast an. In diesem Podcast geht es um das zu Beginn der Lerneinheit bereits vorgestellte „Yout Local Empowerment Club“ (YLEC) Empowermentprojekt. Die Schüler*innen Betül und Phoenix kommen hier zu Wort und stellen das Projekt vor. Bitte rufen Sie den Podcast unter dem Link https://rise-jugendkultur.de/artikel/podcast-05-schule-macht-rassismus/ auf.
In Anschluss an das Hören teilen Sie bitte ihre Antworten zu folgenden Fragen:
- Warum funktioniert das YLEC-Projekt so gut als geschützter Empowermentraum?
- Worauf wurde bei der Anlage und Umsetzung des Projekts geachtet, damit ein Safe Space entstehen kann?
Im Folgenden sind noch einige Links und Tipps, sowie Anlaufstellen für Empowerment-Angebote aufgelistet. Diese Liste dient lediglich als Einstieg und verfolgt keinerlei Ansprüche auf Vollständigkeit. Sie dient als Inspiration für die eigene Recherchearbeit. Daran anschließend ist das Literaturverzeichnis zu finden.
Amaro Drom e. V.
Dikhen amen! Seht uns! Empowerment und Sensibilisierung gegen Antiziganismus aus Sicht junger Sinti*zze und Rom*nja.
Bundesvereinigung Trans* e. V.: Gegen Trans*feindlichkeit und für Empowermen
dis e.V: Antidiskriminierungsarbeit Online-Beratung und Empowerment.
EACH ONE TEACH ONE (EOTO) e.V. ist ein Community-basiertes Bildungs- und Empowerment-Projekt in Berlin. Im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! fungiert Each One Teach One (EOTO) e.V. seit 2020 als Kompetenzzentrum Anti-Schwarzen Rassismus
Online: https://www.eoto-archiv.de/ueber-uns/#verein. (letzter Zugriff 26.06.2021).
El Masrar, Sineb (2019). Muslim Girl. In: Heiner Barz; Klaus Spenlen (Hrsg.): Islam und Bildung. Auf dem Weg zur Selbstverständlichkeit. 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Springer S. 23-35.
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – ISD Bund e. V.
Jugendliche ohne Grenzen. Online http://jogspace.net/.
Muslim girl blog: Geschichten aus dem Leben von muslimischen Mädchen* und Frauen* in einer christlich-weiß geprägten Gesellschaft. Online: https://muslimgirl.com/. (Letzter Zugriff 23.06.2021).
Rent a jew ist ein Projekt (mittlerweile abgeschlossen, indem Jüd*innen beispielsweise in Schulen gehen und in Workshopformaten aus ihrem Leben berichten. Online: https://www.ejka.org/de/content/rent-jew-ist-abgeschlossen. (letzter Zugriff 29.06.2021).
Ogette, Tuboka ist Rassismus und Empowermenttrainerin. Online: https://www.tupoka.de/. (letzter Zugriff 29.06.2021).
Auf dem „YOUNG MIGRANTS blog“ erzählen junge Migrant*innen aus ihrem Alltag für eine Gesellschaft der Vielen. Online: https://youngmigrants.blog/2020/11/empowerment-ist-eine-ueberlebensstrategie/. (Letzter Zugriff 23.06.2021).
ADA- Antidiskriminierung in der Arbeitswelt. ADA entwickelt Angebote und Strategien, um eine Antidiskriminierungskultur im Land Bremen zu verstetigen. Online: https://www.ada-bremen.de/beratung-empowerment/empowerment-trainings/. (letzter Zugriff 23.07.2021).
Adis.ev. bietet Empowerment Workshops an für Menschen mit Erfahrung von Rassismus, Ableismus, Cis-Heteronormativität und Klassismus. Online: https://adis-ev.de/empowerment/empowerment-angebote. (letzter Zugriff 23.07.2021).
Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN (BAK)/Zuweisung an die BpB MoDem:
Mobiles Demokratisches Empowerment für den ländlichen Raum.
Bildungsstätte Bredbeck: Heimvolkshochschule des Landkreises Osterholz Empowerment für den Arbeitswelt-Parcours.
Diversity arts culture Berlin bietet ebenfalls Empowerment Workshops für unterschiedliche Zielgruppen an. Online: https://diversity-arts-culture.berlin/angebote-und-veranstaltungen/empowerment. (letzter Zugriff 23.07.2021).
Fachstelle ju:an der Amadeu Antonio Stiftung: Online: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/juan-praxisstelle/. (letzter Zugriff 23.06.2021).
Kribi – Kollektiv für politische Bildung Berlin: „Als Team bringen wir verschiedene Zugänge zu unseren Themengebieten mit, die es ermöglichen bedarfsorientiert mit verschiedenen Zielgruppen zu arbeiten. Zum Team gehören Menschen mit und ohne eigener Migrations- oder Fluchterfahrung; Pädagog_innen, Politikwissenschaftler_innen, Künstler_innen, Schriftsteller_innen und Soziolog_innen mit langjährigen Erfahrungen in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung“. Online: http://kribi-kollektiv.de/tag/empowerment/. (letzter Zugriff 23.07.2021).
Ufuq e. V.
Politische Bildungsarbeit zu religiöser Vielfalt und Radikalisierungsprävention.
- Arbeitsdefinition, AG Empowerment, Bundesprogramm Demokratie leben! Online: https://www.demokratie-leben.de/magazin/magazin-details/was-ist-empowerment-49. (letzter Zugriff 05.06.2022).
- Awista Gardi (2020). Empowerment ist eine Überlebensstrategie. Online: https://youngmigrants.blog/2020/11/empowerment-ist-eine-ueberlebensstrategie/ (letzter Zugriff 27.11.2023).
- Behradi, Niloufar (2021). Empowerment an Schulen. Online https://www.raz-zeitung.de/2021/08/28/empowerment-an-schulen/ (letzter Zugriff 27.06.2022).
- Diangelo, Robin (2021). Wir müssen über Rassismus sprechen. Was es bedeutet in unserer Gesellschaft weiß zu sein. Hamburg: Hoffmann und Campe.
- Dietscher, Christina; Dür, Wolfgang; Stidl, Thomas (2004). „Empowerment“ für Wohlbefinden und Gesundheit in der Schule Leitfaden für Gesundheitsfördernde Schulen. Wien: Österreichische Gesellschaft für Medizin- und Gesundheitssoziologie.
- Doğmuş, Aysun (2017). Empowerment im Lehramtsstudium. In: Fereidooni, Karim; El, Meral (Hg.): Rassismuskritik und Widerstandsformen. Wiesbaden: Springer S. 771-788.
- Farrokhzad, Schahrzad (2019). Empowerment junger Menschen mit (zugeschriebenem) Migrationshintergrund im Spannungsfeld von Othering und Selbstbemächtigung. Expertise im Auftrag des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit (IDA) e.V. Link: https://www.vielfaltmediathek.de/mediathek/6726/empowerment-junger-menschen-mit-zugeschriebenem-migrationshintergrund-im-spannun.html (letzter Zugriff 25.06.2022).
- Fereidooni, Karim (2015). Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen im Schulwesen. Eine Studie zu Ungleichheitspraktiken im Berufskontext. Wiesbaden: Springer.
- Gardi, Awista (2020). Empowerment ist eine Überlebensstrategie. Online: Youngmigrants.blog: https://youngmigrants.blog/2020/11/empowerment-ist-eine-ueberlebensstrategie/ (letzter Zugriff 29.06.2022).
- Haschemi, Golschan Ahmad; Fava, Rosa; Ghaffarizad Kiana; Köroğlu, Berivan (2020). In: Zukunft: Jugendarbeit antisemitismuskritisch, rassismuskritisch und empowernd. Cottbus: Druckzone.
- Hill Collins, Patricia (1991). Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness,
and the Politics of Empowerment. New York: Routledge. - Hill Collins, Patricia (2022). Die Kraft der Selbstbestimmung. In: A. Kelly, Natasha (Hg.): Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. 2. Aufl. Münster: Unrast. S. 185- 230.
- Madubuko, Nkechi (2021). Handbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen. Weinheim, Basel: Beltz.
- McIntosh, Peggy (o.J.). Den unsichtbaren Rucksack auspacken. Online: https://www.ende-gelaende.org/wp-content/uploads/2021/07/McIntosh-White-Privilege.pdf. (letzter Zugriff 02.07.2021).
- Nassir-Shahnian, Natascha (2013). Dekolonisierung und Empowerment. In: Heinrich-
Böll-Stiftung (Hg.): Empowerment. MID-Dossier, online:
https://heimatkunde.boell.de/sites/default/files/dossier_empowerment.pdf. (letzter Zugriff 24.06.2022). S. 16-25. - Ogette, Tuboka (2020). exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast.
- Sow, Noah (2018). deutschland schwarz weiß. Norderstedt: BoD.
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