Modul 16 | Berufssprache Deutsch
Berufssprache Deutsch
In dieser Lerneinheit wird in das Thema „Berufssprache Deutsch“ eingeführt. Nach einer Einleitung zur Relevanz folgt eine theoretisch-konzeptionelle Einordnung, was damit eigentlich genau gemeint ist und warum es wichtig ist, sich als Lehrperson damit auseinanderzusetzen. Im Anschluss daran werden Konzepte zur Förderung der Berufssprache Deutsch sowie zur Gestaltung eines sprachsensiblen Unterrichts vorgestellt.
- Theorie
- Aufgaben & Reflexion
Ausbildung, Berufs- und Arbeitswelt befinden sich in einem ständigen Wandel, welcher u. a. durch rasante technische und wirtschaftliche Entwicklungen, Digitalisierungs- und Globalisierungs- sowie Flexibilisierungsprozesse bedingt ist (Roche & Terrasi-Haufe, 2019, S. 168; Kultusministerkonferenz, 2019b). Um in beruflichen Situationen befähigt handeln zu können, wird berufliche Handlungskompetenz benötigt, die in der Berufsausbildung entwickelt und im Berufsleben erweitert werden soll. Diese setzt sich aus Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen sowie Sozialkompetenzen zusammen. Ergo wird mit der Berufsausbildung das Ziel verfolgt, den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz zu fördern (Hackel, 2021) und damit zu einem gelingenden Übergang in die Arbeitswelt und/oder weitere Bildungsgänge beizutragen (Kultusministerkonferenz, 2019b, S. 4). Damit verbunden sind Ausbildung, Berufs- und Arbeitswelt mit einer Vielzahl sprachlich-kommunikativer Anforderungen verbunden, welche stetig zunehmen und komplexer werden. Je nach Berufsfeld müssen unterschiedliche Situationen mündlich oder schriftsprachlich bewältigt werden (Ziegler, 2016). Dabei geht es nicht nur allein um das Beherrschen der deutschen Sprache auf einem bestimmten Niveau oder die korrekte Verwendung der deutschen Rechtschreibung, sondern vielmehr um viele verschiedene Situationen, in denen unterschiedliche sprachlich-kommunikative Anforderungen angemessen, situationsadäquat, zielgerichtet und effektiv erfüllt werden müssen (Efing, 2024b). Die sprachlich- kommunikativen Anforderungen der Berufssprache Deutsch umfassen die Bereiche Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben und sind mit verschiedenen Aufgaben und Handlungen verbunden, die sich je nach Gesprächspartner:in und Kontext unterscheiden. Demzufolge stellen sprachlich-kommunikative Kompetenzen eine Schlüsselkompetenz für den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz dar (Settelmeyer et al., 2017,
S. 4), mit der Zugänge zum Arbeitsmarkt und zu qualifizierten Arbeitsplätzen, gesellschaftliche Partizipation und gesellschaftlicher Aufstieg ermöglicht werden können (Daase, 2018, S. 53). Dabei steigt die Anforderung an diese Kompetenz mit zunehmender Verantwortung (Siemon et al., 2016). Immer mehr Berufsschüler:innen haben jedoch Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung und Grammatik, mit dem Lesen, Verstehen und Anwenden von Fachvokabular sowie beim Lesen und Interpretieren von Diagrammen als auch mit der Unterscheidung der Sprachregister Alltagssprache und Bildungssprache (Roche und Terrasi-Haufe, 2019, 168 f.; Siemon et al., 2016). Dies betrifft sowohl Schüler:innen, deren Erstsprache Deutsch ist, als auch jene, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) bzw. weitere Sprache (DaW) lernen.
Vor diesem knapp skizzierten Hintergrund wird deutlich, dass ein erhöhter Bedarf an Sprachförderung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung vorhanden ist, um Teilhabe und Partizipation an Bildung, Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu ermöglichen (Roche und Terrasi-Haufe, 2019, S. 167 f.). Entsprechend fordert die Kultusministerkonferenz eine verstärkte Sprachförderung (nicht nur) in der beruflichen Bildung (Kultusministerkonferenz, 2019b). Hierfür bedarf es u. a. der Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen, Ausbilder:innen, Praxisanleiter:innen und anderen zentralen Akteur:innen im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Dies beinhaltet sowohl ein Wissen über die verschiedenen sprachlich-kommunikativen Anforderungen in Ausbildung, Beruf und Arbeit als auch darüber, wie diese adäquat und durchgängig gefördert werden können.
Eine Sprache zu beherrschen, bedeutet nicht nur, sich mit ihr mündlich oder schriftlich verständigen, Informationen und Texte sinnentnehmend lesen zu können oder die Grammatik und die Rechtschreibung zu beherrschen. Jede Sprache differenziert sich auch in Varietäten wie z. B. Dialekte, die an soziale Gruppen gebunden sind, sowie in Varietäten des Sprachgebrauchs, die als „Register“ bezeichnet werden (Efing, 2024b,
S. 23; Venohr, 2021). Sprachregister sind also Teil von Sprache bzw. stellen eine Variation des Sprachgebrauchs dar (Efing 2024b, S. 23). Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive sind Register sprachliche Regeln und Muster, die situativ, funktional-kontextuell und sprachstilistisch unterschieden werden können (ebd.). Je nach Kontext nutzen wir Sprache unterschiedlich. Im Alltag sprechen wir mit unseren Freund:innen und Familienmitgliedern anders als mit Lehrpersonen im Unterricht oder mit Vorgesetzten im (Ausbildungs-)Betrieb. Auch die schriftliche Kommunikation unterscheidet sich im Alltag von der im schulischen oder beruflichen Umfeld. Je nach Kontext oder auch Gesprächspartner:in kann sie formaler oder informeller sein. Das Wissen über und Beherrschen unterschiedlicher Sprachregister gilt deshalb als ein Teilaspekt bzw. als ein bestimmter Ausschnitt von Sprachkompetenz. Hierbei werden verschiedene Register unterschieden. Im Folgenden gehen wir auf drei davon ein: die Alltagssprache, die Bildungssprache und die Fachsprache.
Die im Alltag verwendete Sprache wird als „Alltagssprache“ bezeichnet. Es ist ein Register, das überwiegend in der mündlichen Kommunikation in vertrauten Alltagssituationen und informellen Kontexten gebraucht wird (Efing, 2024b, 27 f.; Gogolin & Lange, 2011). Alltagssprache hat einen dialogischen Charakter (Gogolin & Duarte, 2016, S. 485), besteht eher aus unvollständigen und einfachen Sätzen sowie einem unpräzisen Wortgebrauch und ist auch tolerant gegenüber Fehlern (Leisen, 2018, S. 13). Das Register ist demnach am mündlichen Sprechen orientiert (Leisen, 2018, S. 12), was in der kanadischen und US-amerikanischen Zweitspracherwerbsforschung als „Basic Interpersonal Communicative Skills“ (BICS) bezeichnet wird (Cummins, 2008) und setzt grundlegende Kommunikationsfähigkeiten voraus. „Bildungssprache“ hingegen entwickelt sich über den Erwerb schulbezogener Sprachkenntnisse. Diese werden als
„Cognitive Academic Language Proficiency“ (CALP) bezeichnet und sind am schriftlichen Ausdruck orientiert (Leisen, 2018, S. 12). Bei der Bildungssprache handelt es sich somit um ein Sprachregister, das mit gewissen formalen Anforderungen einhergeht (Gogolin & Lange, 2011, S. 111). Anders als bei der Alltagssprache ist der Sprachgebrauch der Bildungssprache durch einen präzisen Wortgebrauch, vollständige und komplexe sowie grammatikalisch korrekte Sätze gekennzeichnet (Leisen, 2018, S. 13). Aus einer (erziehungs-)wissenschaftlichen Perspektive wird unter Bildungssprache – in Anlehnung an Jürgen Habermas – eine Sprache verstanden, mit der Bildung in Institutionen vermittelt wird (Gogolin & Lange, 2011, S. 107 f.). Bildungssprache ist die Sprache, die in schulischen Institutionen gesprochen wird, die aber auch gleichzeitig vermittelt werden soll, um sich mit Hilfe dieses sprachlichen Registers Wissen verschaffen zu können (Gogolin & Duarte, 2016, S. 483). „Fachsprache“ wiederum wird häufig als Teilaspekt von Bildungssprache verstanden (Leisen, 2018). Sie ist gekennzeichnet durch das Wissen über und Anwenden von Fachbegriffen. Darüber hinaus beinhaltet Fachsprache einen neutralen und unpersönlichen Sprachstil, da sie mit dem Anspruch verbunden ist, fachlich korrekt zu sein (Jahnke-Klein & Busse, 2019, S. 118).
Neben diesen drei skizzierten Sprachregistern stellt auch die Berufssprache Deutsch eine Varietät von Sprache dar, die im Folgenden genauer erläutert wird.
Die Berufssprache Deutsch ist eine Mischung aus verschiedenen Registern. Sie lässt sich nicht trennscharf von den Registern Alltags-, Bildungs- und Fachsprache abgrenzen (Niederhaus, 2022, S. 43). Die Berufssprache wird vielmehr auf einem Kontinuum verortet, das sich zwischen den Polen Alltagssprache und Fachsprache bewegt (Efing, 2024b, S. 26). Manche Perspektiven auf Berufssprache gehen weiter und beschreiben Berufssprache als „die Summe aller Varietäten, die zum Erwerb und zum Ausführen eines Berufs nötig sind“ (Roche & Finkbohrer, 2021, S. 390). So finden in der Ausbildungs-, Arbeits- und Berufswelt neben fachlichen und organisationsbezogenen Kommunikations- und Sprachanforderungen auch Gespräche unter Kolleg:innen statt, die bis ins Privatleben hineinwirken (z. B. Smalltalk am Kopierer, Austausch über Urlaub) (Kuhn & Sass, 2018). Berufssprache Deutsch ist zwar stärker auf die Arbeits- und Berufswelt bezogen als Alltagssprache, gleichzeitig aber auch stärker auf die Praxis und Handlung bezogen als Fachsprache (Niederhaus, 2022, S. 35; Efing, 2024a). Bereits hieran wird deutlich, dass die Ausbildungs-, Arbeits- und Berufswelt mit einer Vielzahl sprachlich-kommunikativer Anforderungen verbunden ist. Viele verschiedene und komplexe berufliche Handlungssituationen mit verschiedenen Gesprächspartner:innen erfordern eine sprachlich und fachlich angemessene Bewältigung. In Pflegeberufen beispielsweise erfordert die Kommunikation mit Patient:innen einen anderen mündlichen Sprachgebrauch als die Kommunikation mit Kolleg:innen oder mit Vorgesetzten. Und wieder anders ist der schriftliche Sprachgebrauch bei der Dokumentation der geplanten und durchgeführten Pflege. Im Bereich Kaufmann:frau im Einzelhandel erfordert die Kommunikation im Beratungs- und Verkaufsgespräch andere mündliche Sprachkompetenzen als in Gesprächen mit Kolleg:innen und Vorgesetzten. Die Prüfung des Warenbestands erfordert andere schriftsprachliche Kompetenzen als das Führen eines Berichtsheftes in der Ausbildung (Settelmeyer & Widera, 2016). Berufssprache beinhaltet somit „alle Sprachmittel, die zur persönlichen und sachlichen Integration in den Betrieb und damit zur Sicherung der betrieblichen Funktionsübernahme dienen.“ (Braunert, 2000, S. 155; zitiert nach Niederhaus, 2022, S. 31 f.). Wie deutlich wird, beinhaltet die Berufssprache Deutsch verschiedene Varietäten sprachlich-kommunikativer Anforderungen, die in allen Bereichen beruflicher Tätigkeiten wichtig sind. Es gibt jedoch eine Vielzahl an Faktoren, die den Erwerb dieser Schlüsselkompetenz erschweren können. Diese sind zum einen in den bereits oben genannten sich ständig verändernden Bedingungen begründet, zum anderen sind es sprachliche oder sozioökonomische Faktoren der Benachteiligung, die den Erwerb der Berufssprache Deutsch erschweren können. Demzufolge wird verstärkt die gezielte Förderung berufssprachlicher Kompetenzen gefordert (KMK). Es gibt bereits einige erprobte und erforschte Ansätze und Konzepte, die sich hierbei als wirksam erweisen.
Für den Erwerb der Berufssprache Deutsch brauchen Schüler:innen unterschiedliche Ressourcen und Förderstrategien, die sich an dem jeweiligen Lernstand und der Lernerfahrung der Schüler:innen orientieren. Nachdem im Folgenden zunächst relevante Aspekte in Bezug auf die Zielgruppen ausgeführt werden, stellen wir einige gängige Förderkonzepte vor.
Zielgruppen
Es gibt vielfältige Gründe dafür, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene Sprachförderangebote benötigen. Zahlreiche Studien belegen, dass Schüler:innen, die sozioökonomisch benachteiligt bzw. bildungsbenachteiligt sind, eher Probleme mit dem Verstehen und Anwenden von Bildungs- und Fachsprache haben (Kultusministerkonferenz, 2019a). Den Zusammenhang zwischen sprachlicher Sozialisation und Schulerfolgschancen hat Basil Bernstein (1971) bereits in den 1970er Jahren erforscht. Er unterscheidet zwischen sprachlichen Codes. Während ein elaborierter Sprachcode eher schul- und bildungsrelevante Merkmale enthält, der von sozioökonomisch privilegierten Menschen leichter entwickelt werden kann, kann er aufzeigen, dass Menschen, die sozioökonomisch benachteiligt sind, tendenziell eher einen restringierten Sprachcode nutzen, in dem bildungsrelevante Sprechweisen weitestgehend fehlen. Ein aus der Familie bereits vertrauter elaborierter Sprachcode geht mit besseren Bildungschancen einher (Gogolin & Duarte 2016, S. 481). Diese Ergebnisse sind bis heute aktuell. Dementsprechend haben sozioökonomisch und bildungsbenachteiligte Schüler:innen und Auszubildende häufig einen erhöhten Bedarf an Sprachförderung hinsichtlich des Erwerbs von Bildungs- und Fachsprache sowie der Berufssprache Deutsch.
Menschen, die Deutsch nicht als Erstsprache gelernt haben, können ebenso Schwierigkeiten mit der Berufssprache Deutsch haben. Durch den mit dem demografischen Wandel verbundenen Fachkräftemangel werden zunehmend Auszubildende sowie ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland angeworben, um in Deutschland ihre Ausbildung zu absolvieren beziehungsweise nach einer Anerkennungsqualifikation langfristig in Deutschland erwerbstätig zu sein (Studthoff et al., 2024; Efing & Kalka- van-Aydın, 2024). Eine Voraussetzung, die angeworbene Auszubildende und Fachkräfte aus dem Ausland in vielen Berufsfeldern erfüllen müssen, ist, dass sie Deutsch mindestens auf dem Niveau B2 [1] beherrschen (Roche und Finkbohrer, 2021, S. 389). Dieses Niveau reicht jedoch häufig für berufssprachliche Zwecke nicht aus. Eine Sprache im Alltag auf einem B2-Niveau mündlich und schriftlich kommunizieren zu können, bedeutet nicht automatisch, dieses Niveau auch in Schule, Ausbildung oder Beruf anwenden zu können und alle Inhalte zu verstehen. Dies betrifft auch die Kommunikation in Bildungs- und Berufskontexten, in denen die Register Bildungs- und Fachsprache verstanden und angewendet werden müssen. Während mündliche Sprachkompetenzen meist sehr schnell gelernt und im Alltag gut angewendet werden können, sind die Aneignung und Nutzung schriftbezogener Kompetenzen sowie der Schriftspracherwerb im Bereich Bildung, Beruf und Arbeit mit höheren Anforderungen verbunden. Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, stehen häufig vor der doppelten Herausforderung, die deutsche Sprache zu lernen und dabei gleichzeitig die auf Deutsch vermittelten Wissensinhalte aufzunehmen (Dirim & Heinemann, 2016). Angelehnt an die Empfehlungen der KMK (Roche & Finkbohrer, 2021; Kultusministerkonferenz, 2019a) sind (angehende) Lehrkräfte aufgefordert, fachliche und sprachliche Bedarfe von Schüler:innen zu erheben und ihre Unterrichtsmaterialien und Unterstützungsangebote mithilfe des Unterrichtsprinzips Berufssprache Deutsch anzupassen. Dazu gehört die Gestaltung eines durchgängig sprachsensiblen Unterrichts. Durchgängig meint, über alle Fächer und Altersgruppen bzw. Bildungsformen hinweg. Sprachförderangebote müssen bedarfsgerecht und flexibel gestaltet werden, die unterschiedlichen Lebenswelten, beruflichen Kompetenzen und Fähigkeiten der Lernenden berücksichtigen, die Selbstwirksamkeit der Lernenden sowie ihre Handlungskompetenz fördern. Dies erfordert ein individualisiertes Vorgehen bei der Gestaltung von Lern- und Bildungsangeboten, in denen sich die Lehrperson als Coach verstehen sollte (Roche & Finkbohrer, 2021, S. 396)
Förderkonzepte und -methoden
Es gibt bereits eine Vielzahl an didaktischen Konzepten sowie Methoden, mit denen die Berufssprache Deutsch gefördert werden kann. Wichtig für Sie ist zu wissen, dass Sie kein:e Deutschlehrer:in sein oder Germanistik oder DaF/DaZ studiert haben müssen, um Sprachförderung in Ihren Unterricht einzubauen. Vielmehr geht es darum, ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Sprachregister und damit für die verschiedenen Varietäten der Berufssprache Deutsch zu entwickeln sowie die damit verbundenen sprachlich-kommunikativen Anforderungen im Beruf zu kennen und zu wissen, wie Sie diese fördern können. Dieses Bewusstsein, verbunden mit der Kompetenz, Ihren Unterricht sprachsensibel zu gestalten, wird Zeit benötigen. Es lohnt sich aber, diese Zeit zu investieren, denn sie wird den Unterricht nicht nur für Sie als Lehrperson, sondern auch für die Schüler:innen und Auszubildenden erleichtern. Erste Impulse zu möglichen Konzepten und Methoden der Sprachförderung möchten wir Ihnen im Folgenden an die Hand geben. Eine ausführlichere Übersicht mit weiteren Konzepten und Methoden finden Sie u. a. in dem Grundlagenbuch „Deutsch für den Beruf“ von Constanze Niederhaus (2022).
Das Konzept der „durchgängigen Sprachbildung“ ist „auf die Optimierung der
Möglichkeiten von Lernenden zur Weiterentwicklung sprachlicher Kompetenzen über die Bildungslaufbahn hinweg gerichtet“ (Gogolin, 2020, S. 172). Es wurde im Rahmen des Programms „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ (FÖRMIG) entwickelt. Das Konzept umfasst Merkmale, die auf drei Dimensionen fußen. Die bildungsbiografische Dimension verdeutlicht die Notwendigkeit, dass Sprachbildung möglichst ohne Unterbrechung über die gesamte Bildungsbiografie hinweg gefördert werden muss. Hierfür braucht es eine vernetzte Zusammenarbeit zwischen allen an der Sprachbildung beteiligten Personen und Institutionen (Kooperationsdimension), um Übergänge (z. B. Kindergarten-Schule oder Schule-Berufsausbildung) sprachsensibel und sprachförderlich zu gestalten. Die Mehrsprachigkeitsdimension der durchgängigen Sprachbildung bezieht sich auf „die Beziehungen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Sprachen oder Varietäten, in denen eine Person lebt und die sie lernt“ (Gogolin, 2020, S. 167). Damit einher geht das Verständnis, dass „jedes bereits erworbene sprachliche Können und Wissen eine Basis dafür bildet, die nächste Hürde zu nehmen“ (Gogolin, 2020, S. 170). Es geht folglich um die Anerkennung von bereits erworbenem sprachlichem Wissen (egal in welcher Sprache bzw. welchen Sprachen und egal in welcher Varietät). Mit diesen Dimensionen werden sowohl individuelle als auch institutionelle Aspekte bei der Sprachbildung berücksichtigt (Gogolin, 2020, S. 167). Auch wenn das Konzept der durchgängigen Sprachbildung eher im Primär- und Sekundarbereich Anwendung findet, ist auch der tertiäre Bildungssektor mitgemeint.
Konkreter für den Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung befassen sich Roche und Finkbohrer (2021) mit „Berufssprache Deutsch als durchgängiges Konzept“. Hierbei wird Berufssprache Deutsch nicht nur als eine Varietät bzw. ein Register von Sprache verstanden, sondern als ein Konzept, das durch sprachsensiblen Unterricht gefördert werden kann. Ein zentraler Aspekt ist hierbei, dass Berufssprache Deutsch nicht nur ein Thema für den Deutschunterricht ist. Vielmehr wird Sprachförderung als „Aufgabe aller Fächer, Lernfelder und Lernbereiche“ (Roche & Finkbohrer, 2021, S. 388) verstanden. Das Konzept stützt sich vor allem auf eine handlungsorientierte Sprachvermittlung (Kuhn & Sass, 2018), die sich an dem „Prinzip der vollständigen Handlung“ (orientieren, informieren, planen und analysieren, durchführen, präsentieren, bewerten, reflektieren) orientiert (Roche & Finkbohrer, 2021).
Ziel von Fachunterricht ist es, die berufliche Handlungskompetenz in dem jeweiligen Fach zu fördern. Ein „sprachsensibler Fachunterricht“ hingegen zielt darauf, sowohl die fachlichen Inhalte zu vermitteln als auch die sprachliche Handlungsfähigkeit in dem jeweiligen Fach zu fördern (Leisen, 2017, S. 29). Die Aufgabe von Lehrkräften besteht darin, mögliche Sprachhürden und Sprachprobleme zu erkennen (Diagnostik) und dafür angemessene Sprachhilfen zur Verfügung zu stellen (Leisen, 2018, S. 16). Dabei sollten Sie als (angehende) Lehrperson drei Prinzipien beachten (Leisen, 2018,
S. 14 ff.): Das erste Prinzip ist der Wechsel der Darstellungsformen. Hierbei sollten Sie bei neuen Inhalten zunächst mit der „gegenständlichen Darstellung“ beginnen. Gegenstände ansehen und anfassen zu können, Experimente und Handlungen durchzuführen, sind mit einem nonverbalen Sprachgebrauch verbunden, da es zunächst einmal um die Veranschaulichung geht, die das Verstehen erleichtert. Bildliche Darstellungsformen bedienen sich der Bildsprache. Diese findet sich in Form von Fotos, Videos, Zeichnungen, Piktogrammen usw. Auf der sprachlichen Ebene werden häufig Texte verwendet. Die Inhalte können alltagssprachlich, bildungssprachlich oder fachsprachlich formuliert sein. Die symbolische Darstellung ist eine Form, die bereits ein gewisses Maß an Fachmethodenkompetenz und Abstraktionsvermögen abverlangt, da es hier um Diagramme oder Tabellen handelt. Mathematische Darstellungen stellen die abstrakteste Symbolisierung eines Sachverhaltes dar und werden in Form von mathematischen Formeln dargestellt. Es geht also bei dem ersten Prinzip des sprachsensiblen Fachunterrichts darum, verschiedene und angemessene Darstellungsformen zu nutzen, damit alle Schüler:innen die Inhalte verstehen und anwenden können. Das zweite Prinzip ist die kalkulierte sprachliche Herausforderung. Damit ist gemeint, dass die sprachlichen Anforderungen so gestaltet werden, dass sie möglichst immer etwas über dem individuellen Sprachvermögen der Lernenden liegen (Leisen, 2018,
S. 16). Deshalb ist es auch wichtig, die individuellen Sprachstände der Lernenden zu kennen. Das dritte Prinzip lautet „Scaffolding durch Methoden-Werkzeuge“ (ebd.). Scaffolding als Ansatz zur Sprachförderung wurde von Pauline Gibbons (2015) entwickelt. Scaffold bedeutet so viel wie „Gerüst“. Es ist eine Methode, mit der den Lernenden ein Gerüst gebaut wird, das ihnen dabei hilft, Schritt für Schritt von einer Stufe auf die nächste zu gelangen (Kuhn & Sass, 2018, S. 10). Dafür benötigen sie individuelle Sprachhilfen, die von Lehrpersonen gegeben werden müssen. Das Maß dieser Hilfen sollte dabei so gewählt werden, dass die Lernenden sprachliche Handlungssituationen möglichst selbstständig und erfolgreich bewältigen können (Leisen, 2018, S. 16; Kuhn & Sass, 2018). Hierbei kann es hilfreich sein, Übergänge von der konzeptionellen Mündlichkeit zur konzeptionellen Schriftlichkeit zu schaffen (Lange, 2020). Lassen Sie Ihre Schüler:innen und Auszubildende bestimmte Inhalte und Sachverhalte zunächst alltagssprachlich erklären oder mithilfe anderer/weiterer Erst- und Herkunftssprachen (Dirim & Heinemann, 2016). Dafür müssen Sie keine Kenntnisse über andere Sprachen haben. Vielmehr sollten Sie die Mehrsprachigkeit mancher Schüler:innen und Auszubildender anerkennen.
Das durchgängige Unterrichtsprinzip Berufssprache Deutsch wurde bereits im Jahr 2008 in Bayern eingeführt. Das Bayerische Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) hat eine Webseite zur Berufssprache Deutsch eingerichtet, auf der Sie zahlreiche Informationen zum Unterrichtsprinzip Berufssprache Deutsch sowie Beispiellehrpläne und umfangreiche Materialordner für Berufsintegrationsklassen finden können: https://www.berufssprache-deutsch.bayern.de/.
Fußnote
[1] Eine Übersicht der Niveaustufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) ist hier zu finden: https://www.europaeischer-referenzrahmen.de/sprachniveau.php
Denken Sie an Ihr Berufsfeld! Welche verschiedenen sprachlich-kommunikativen Anforderungen bringt Ihr Berufsfeld mit sich? Notieren Sie sich jeweils 3–4 Beispiele auf mündlicher und auf schriftlicher Ebene und ordnen Sie diese den im Text erläuterten Sprachregistern zu.
Planen Sie eine Unterrichtseinheit. Berücksichtigen Sie dabei eine sprachsensible und sprachförderliche Gestaltung. Nutzen Sie dafür die im Text beschriebenen Ansätze und orientieren Sie sich an den Beispielaufgaben der o. g. Website.
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